Donnerstag, 31. August 2006
Weltgeist Superstar
Manchmal bin ich wirklich für Werbung dankbar. Dann nämlich, wenn sie entweder enorm erheiternd ist - wie damals die "Surfen kannst Du auch woanders"-Reklame der Bahn (S-Bahn-Surfen anyone?), oder die echt trashige Trigema-Werbung. Die habe ich bisher immer nur vor der Tagesschau gesehen. Wie einen Parteien-Wahlwerbespot. Und inhaltlich ist sie auch nicht viel anders: Deutsche Arbeitsplätze, ein Affe, einer im Trikot. Nein, das war doch anders, ich erinnere mich nicht recht. Und wo wir schon bei Wahlwerbespots sind: Das Versteigern von Wahlwerbespots könnte man zwar auf eine anarchistische Weise für lustig halten - man muss aber nicht. Und wer echte Anarchisten will, muss ohnehin an der Binnenalster Wahlkampfunterstützung versaufen. Aber adaptieren wir doch das alte Party-Motto "No money, no religion, no politics" für die wunderbare Welt der Blogphantasten und wenden uns dem Anlass meines ansonsten recht wenig motivierten und elanvollen Beitrags zu: Weltgeist Superstar. So heißt nämlich ein Buch, dass die links unten stehende Werbung einblendete, als ich - von Tugend beseelt, vom höchsten Wesen trunken - zum ersten Male in diesem meinen kleinen Reich der Revolution Revisited das Wort "Weltgeist" schrub. Richtig wäre "schrieb", aber ich habe mich mit Absicht verschrieben, um verschroben zu wirken, und da blieb nur "schrub", denn "schrab" geht onomatopoetisch mal gar nicht; das hört sich an wie "Schabe". Vielleicht bin ich auch nicht vom höchsten Wesen, sondern vom Ethanol trunken, und schreibe daher ein' Kessel Assoziatives. So zum Beispiel, dass ich mich mit dem Weltgeist, der offensichtlich ein Superstar ist, assoziieren möchte. Ich glaube, das ist ein "feasible career move". Ich will jetzt nicht pascalesque erscheinen, aber mal ehrlich: Weltgeist UND Superstar. Da muss man anbeißen. Gut, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er irgendwie ein Trittbrettfahrer dieser ganzen Superstar-Bewegung ist. Aber "Deutschland sucht den Weltgeist" erinnert andererseits eher an eine Literaturepoche als an eine Fernsehsendung. Sollte irgendein (ebenfalls ethanoltrunkener) Fernsehproduzent dies lesen, und nunmehr die zündende Idee bekommen: Immer langsam! Erstens, die Idee is' meine. Zweitens, den Weltgeist gibt es schon, und er ist mein Freund, remember? Um nicht zu sagen: Ich werde sein Anwalt. "Leroy King, Anwalt des Weltgeistes" - das ist mal ein passender Name für einen (tugendhaften!) Diktator. Besser als das abgedroschene "Philosophenkönig"; das klingt eher wie "Schützenkönig", und die dann notwendige Analogie zwischen "Schützenfesten" und "Philosophenfesten" kann ich nicht ertragen. Ob es dann auch eine "Philosophenschnur" gibt? Für drei richtige Zweifel?

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Dienstag, 29. August 2006
Und da ist er schon...
... der erste Kandidat für den Orden, der nach dem Alkoholgehalt eines guten (oder mirwegen auch schlechten, Hauptsache: scheppernden) Likörs heißt. Seinen Namen nenne ich nicht, den lese ich erst passend zum Videoclip vor, der dann hinter mir auf einer riesigen Leinwand unter der Überschrift "Nominees" gezeigt wird. Ja, genau: Nominees. So wie "Rail Marshal". Was uns zu des Pudels Kern bringt. Jemand, der allen Ernstes behaupten kann, die Tatsache, dass die Videoüberwachung an Bahnhöfen zur schnellen Ergreifung des vermeintlichen Bombenlegers (ihr wisst schon - man kann in Zeitungen drüber lesen und so) führte, zeige, dass mehr Videoüberwachung notwendig sei, ist ein genauso ernsthafter Anwärter auf den Zwölfeinhalbprozent-Orden. Und der gute Herr kann ja noch mehr. Weil ein ergriffener Mörder akzidentiell gleichzeitig seines Zeichens LKW-Fahrer war, soll fürderhin auch das Mautsystem den Strafverfolgungsbehörden zugänglich sein. Mir erschließt sich zwar eine gewisse Verwandtschaft der Themen - sagen wir, in einem von Joyce geprägten Stream-Of-Consciousness-Kontext wäre ich nicht überrascht gewesen, von "Mörder" über "LKW-Fahrer" auf "Mautsystem" zu kommen. Als nächstes würde mir "Österreich" einfallen, danach "Pickerl", nunmehr "Pickles" und schlußendlich "saure Gurken". Ob nun der Mörder im Knast saure Gurken bearbeiten darf? Aber als Argumentation ist das doch recht hanebüchen. Aber da simmer dabei, das is prima, dafür gibt's eine Nominierung. Und ich wage zu behaupten: Die wird schwer zu toppen. Außer vielleicht von den ganzen Rechten, die sich dauernd und immer impertinenter auf Meinungsfreiheit berufen. Aber Rechte kriegen hier keine Orden. Und meinethalben auch keine Meinungsfreiheit. Ich vertrete die Tugend, das Höchste Wesen - und muss in dieser Funktion dekretieren: Au latèrne! Dies soll jetzt aber nicht als Gewaltaufruf verstanden werden, das läge mir fern.
Fern liegt mir im Übrigen auch Korsika, was ich zutiefst bedaure. Ähnlich fern Arkadien, aber das soll überbewertet sein. Keine Helden, nirgendwo. Der Olymp ist so tot wie Nietzsche.

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Freitag, 28. Juli 2006
Da hätte man ja auch Jan Ullrich fahren lassen können
Ich hatte mir fest vorgenommen, nur um den Preis eines selbst abgehackten Fußes auf aktuelle Themen einzugehen, aber siehe, Fuß, so ist der Lauf der Welt: Gerade noch in tragender Funktion, wird man abgehackt von den Leuten, von denen man dachte, dass man für mehr als nur einen Fußabtreter, für einen Fuß eben, gehalten und eben dafür geschätzt würde. Und, je mehr ich darüber nachdenke, desto weniger bin ich durch mein Versprechen genötigt, tatsächlich MEINEN Fuß abzuhacken. Solange ich es nur selbst tue, ist alles möglich! Das Gewissen verzieht sich wieder in seine innerseelische Opiumhöhle. Ich sehe noch einmal über die Schulter, murmele "Der Adler ist gelandet" in meine als Uhr getarnte Sprechverbindung zur Operationszentrale, die sich in einem Anflug von unpassender Heiterkeit den Decknamen "guten Geschmack" gab und mir "Affront" zuwies. "Affront an guten Geschmack", dass ich nicht lache. Jedenfalls murmele ich irgendwas und lege los. Achtung:

Da hätte man ja auch Jan Ullrich fahren lassen können. Den armen Kerl und seinen Hauptkonkurrenten , den grinsenden Ivan, von der Tour wegen Dopingverdachts auszuschließen, nur damit ein gedopter Fahrer gewinnt - welch' Kleinod des feinschleifenden Schicksals. Ein Meisterstück. Aber dieses Meisterstück hat mir - und hier beginnt das Übel - die Interviews vorenthalten, in denen der nämliche Jan Ullrich sagt "Ich habe mich dieses Jahr gut vorbereitet und will gewinnen." Diese Sätze wärmen mein Herz, mehr noch, they give me a wonderful sense of well-being. Dieser Gesichtsausdruck, der jeden Zuschauer zum Komplizen macht, indem er suggeriert, dass wir alle wissen - und, oh ja, Jan, das tun wir - dass das Blödsinn ist, dass niemand, dem die Sonne Südfrankreichs nicht das Hirn verbrannte, täglich 200km auf einem harten Fahradsattel zubringt, wenn er genug Geld hat, stattdessen schöne Dinge zu tun. Aber ja, alle erwarten von dir, dass Du das sagst, und es hört sich ja auch nett an, sowas mal zu sagen. Wenn man es mir anböte, einen solchen Satz zu sagen - ich lehnte nicht ab. Und ich würde gleichermaßen denken: Welch fabulöser Unsinn! Ich könnte ja auch gleich "Der König ist tot, lang lebe der König!" rufen. Oder: "Meine Damen und Herren: Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika!" Oder: "Nur durch Deregulierung werden wir es schaffen, wieder Weltspitze zu sein!" Wobei dieser letzte Satz ein wenig unfair ist; er tut den anderen Unrecht, ist nicht nur sinnlos, sondern eine offene Lüge. Wie allerdings Jan Ullrichs Behauptung auch. Vielleicht liegt es an dem "Ull-" im Namen, den wer könnte je den Maradona des dreisten Lügens vergessen - oder besser, den Pelé, denn el Diego ist mit "der Hand Gottes" natürlich lui-même vertreten, - also den Michelangelo unter den Bildhauern des Pathos. Aber nur an seinen Worten sollt ihr ihn erkennen: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!"
Ich beschließe hiermit im Namen der Tugend, jährlich den Zwölfeinhalbprozent-Orden zu vergeben, nebst zugehörigem Papageien, der dem herausragendsten Piraten in den Gewässern des öffentlich artikulierten Wortes zusteht. Warum Zwölfeinhalbprozent? Wieder mal das falsche Buch gelesen, was, wieder Brecht oder sowas Kulturelles. Da gibt es denn auch keine Gnade von mir, allein einen Hinweis: Ab die Post! Nur ist der eigentlich vorgesehene Titelträger diesen Jahres ja leider exiliert worden. Und "Vielleicht sollten wir einfach alles Doping zulassen, dann haben ja alle gleiche Chancen" wirkt irgendwie zu naiv. Aber, not to worry: Es wird einer kommen. Soviel Prophet bin selbst ich.

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